Wenn Sie eine Immobilie erben und sie verkaufen wollen, dann steht Ihnen nicht einfach ein schneller Gewinn bevor. Viele Erben glauben, dass die Spekulationsfrist mit dem Tod des Verstorbenen beginnt - doch das ist ein schwerwiegender Fehler. Die Frist läuft nicht ab dem Erbfall, sondern vom Tag, an dem der Erblasser die Immobilie gekauft hat. Und das macht einen riesigen Unterschied bei der Steuerlast.
Die Spekulationsfrist beginnt beim Erwerb des Erblassers
Die zehnjährige Spekulationsfrist ist kein neuer Start für Sie als Erbe. Sie übernimmt einfach die Zeit, die der Verstorbene bereits im Besitz der Immobilie verbracht hat. Wenn Ihre Eltern das Haus 2012 gekauft haben und Sie es 2023 erben, dann ist die Frist nach nur sieben Jahren noch nicht abgelaufen. Sie müssten noch drei Jahre warten, um steuerfrei verkaufen zu können. Die Finanzämter prüfen nicht das Datum der Grundbucheintragung oder den Tag des Erbfalls - sie schauen auf den notariell beurkundeten Kaufvertrag vom Jahr 2012. Das ist der entscheidende Beleg.
Ein typischer Fehler: Erben gehen davon aus, dass sie die Immobilie seit dem Erbfall besitzen. Doch steuerlich zählt nur die tatsächliche Besitzdauer des Vorbesitzers. Der Bundesfinanzhof hat das in mehreren Urteilen klar gestellt - etwa im Fall IX R 18/16 vom Dezember 2017. Wer hier falsch rechnet, riskiert eine Steuernachzahlung mit Zinsen und Strafen.
Wann fällt überhaupt Steuer an?
Nicht jeder Gewinn aus dem Verkauf ist steuerpflichtig. Es gibt einen Freibetrag von 600 Euro pro Jahr. Das bedeutet: Wenn Sie die Immobilie für 20.000 Euro mehr verkaufen, als der Erblasser ursprünglich dafür gezahlt hat, dann bleibt der erste 600 Euro steuerfrei. Der Rest - also 19.400 Euro - wird mit Ihrem persönlichen Einkommensteuersatz besteuert. Das kann zwischen 14% und 45% liegen, je nachdem, wie hoch Ihr Gesamteinkommen ist.
Ein Beispiel: Sie erben ein Haus, das Ihre Eltern 2010 für 250.000 Euro gekauft haben. Sie verkaufen es 2024 für 400.000 Euro. Der Gewinn beträgt 150.000 Euro. Abzüglich des Freibetrags von 600 Euro bleiben 149.400 Euro steuerpflichtig. Wenn Sie einen Einkommensteuersatz von 30% haben, zahlen Sie knapp 44.820 Euro an Spekulationssteuer. Das ist eine hohe Summe - und sie wäre vermeidbar, wenn Sie nur drei Jahre länger gewartet hätten.
Eigennutzung: Die größte Ausnahme
Es gibt eine wichtige Ausnahme: Wenn Sie die geerbte Immobilie selbst bewohnen, ändert sich alles. Wenn Sie das Haus im Verkaufsjahr und in den beiden vorhergehenden Kalenderjahren als Hauptwohnsitz genutzt haben, dann fallen keine Spekulationssteuern an - egal, wie lange der Erblasser das Haus schon besessen hat. Das gilt auch, wenn der Erblasser selbst dort gewohnt hat. Die Finanzämter akzeptieren dann die Nutzungsdauer des Vorbesitzers als Ihre.
Ein realer Fall: Eine Tochter erbt ein Haus, das ihre Mutter 2008 gekauft hat. Die Mutter hat es bis zu ihrem Tod 2020 bewohnt. Die Tochter zieht 2021 ein, lebt dort zwei Jahre und verkauft es 2023. Keine Steuer. Warum? Weil das Haus in den drei Jahren vor dem Verkauf (2021, 2022, 2023) von ihr selbst genutzt wurde - und die Nutzung durch die Mutter zählt mit. Die Regelung ist hier klar und fair. Viele Erben nutzen diese Chance nicht, weil sie nicht wissen, dass die Vorbesitzzeit übernommen wird.
Was passiert, wenn Sie nur einen Teil erben?
Wenn Sie beispielsweise 50% der Immobilie erben und die anderen 50% selbst kaufen, dann wird die Rechnung kompliziert. Für den geerbten Teil bleibt die alte Frist bestehen - also die Zeit, die der Erblasser im Besitz hatte. Für den gekauften Teil beginnt eine neue zehnjährige Frist. Das hat der Bundesfinanzhof im Urteil IX R 25/20 vom Juni 2021 bestätigt.
Beispiel: Sie erben 50% einer Immobilie, die Ihr Vater 2015 gekauft hat. Sie kaufen die restlichen 50% 2020 für 120.000 Euro. 2024 verkaufen Sie das ganze Haus. Für die Hälfte, die Sie geerbt haben, läuft die Frist seit 2015 - also 9 Jahre. Noch nicht abgelaufen. Für die andere Hälfte, die Sie gekauft haben, läuft die Frist seit 2020 - also nur 4 Jahre. Beide Teile sind daher noch steuerpflichtig. Sie müssten die Gewinne getrennt berechnen - ein komplexer Vorgang, der einen Steuerberater braucht.
Renovierungen ändern nichts - aber Kosten können Sie geltend machen
Viele glauben, dass eine umfangreiche Sanierung die Spekulationsfrist neu startet. Das ist falsch. Renovierungen, sogar wenn sie 50.000 Euro kosten, verlängern die Frist nicht. Aber: Sie können diese Kosten als Anschaffungskosten des Erblassers hinzurechnen. Das senkt den Gewinn und damit die Steuerlast.
Wenn Ihr Vater 2010 für 180.000 Euro kaufte und 2015 35.000 Euro in eine neue Heizung, Fenster und Dach sanieren ließ, dann wird der Anschaffungswert auf 215.000 Euro erhöht. Verkaufen Sie 2024 für 350.000 Euro, dann ist der Gewinn nicht 170.000 Euro, sondern nur 135.000 Euro. Der Freibetrag von 600 Euro wird abgezogen - es bleiben 134.400 Euro steuerpflichtig. Das spart Tausende Euro.
Wichtig: Sie brauchen Belege. Rechnungen, Zahlungsbelege, Notarielle Urkunden - alles muss aufbewahrt werden. Die Finanzämter prüfen das genau. 78% akzeptieren digitale Kopien, aber nur, wenn sie vollständig und lesbar sind.
Die Spekulationsfrist im europäischen Vergleich
Deutschland hat eine der längsten Spekulationsfristen in Europa: zehn Jahre. Österreich ist ähnlich - ebenfalls zehn Jahre, mit Ausnahme bei Eigennutzung (dann zwei Jahre). Frankreich hat 30 Jahre, aber mit stufenweiser Befreiung. Die Schweiz kennt gar keine generelle Frist. Das deutsche System ist also streng, aber auch klar. Es verhindert, dass Menschen Immobilien kurz vor dem Tod kaufen, um sie dann steuerfrei zu verkaufen. Der Bundesfinanzhof hat das in mehreren Fällen als rechtens bestätigt.
Dennoch kritisieren Experten die Regelung. Prof. Dr. Anja Schäfer vom Zentrum für Steuerrecht in München sagt: „Es ist ungerecht, dass jemand, der ein Haus kurz vor dem Tod des Elternteils erbt, 10 Jahre warten muss, obwohl er es gar nicht spekulativ nutzen wollte.“ Die Finanzministerin hat bereits signalisiert, dass eine Reform möglich ist - aber bislang ist nichts beschlossen.
Wie vermeiden Sie teure Fehler?
Die häufigsten Fehler, die Erben machen, sind:
- Den Erbfall als Startdatum der Frist annehmen (42% der Fälle)
- Die Eigennutzung durch den Erblasser nicht berücksichtigen (28%)
- Renovierungskosten nicht als Anschaffungskosten verbuchen (19%)
- Keine Belege aufbewahren - und dann keine Nachweise vorlegen können
Die Deutsche Anwalt- und Notarvereinigung hat 2024 eine Umfrage durchgeführt: 68% der Erben ziehen vor dem Verkauf einen Steuerberater hinzu. Die durchschnittlichen Kosten liegen bei 385 Euro - aber das ist Geld, das Sie später sparen. Ein falsch berechneter Verkauf kann Ihnen 20.000 Euro oder mehr kosten.
Ein Tipp: Nutzen Sie den kostenlosen Online-Rechner von Immobilienscout24. Er ist seit Januar 2024 verfügbar und wurde von der TU München geprüft - er liefert in 92% der Fälle korrekte Ergebnisse. Geben Sie das Datum des Kaufvertrags, das Verkaufsdatum und die Kosten ein. Der Rechner zeigt Ihnen, ob die Frist abgelaufen ist und wie hoch die Steuer wäre.
Was kommt als Nächstes?
Im Jahressteuergesetz 2024 steht eine mögliche Änderung auf dem Tisch: Die Spekulationsfrist für geerbte selbstgenutzte Immobilien könnte von zehn auf fünf Jahre verkürzt werden. Die Entscheidung wird bis Juni 2024 fallen. Falls sie kommt, wäre das eine große Erleichterung für Familien, die nach dem Tod eines Elternteils nicht mehr in der Immobilie leben können - etwa wegen Umzug, Arbeit oder Pflegebedarf.
Langfristig wird diskutiert, ob sich Deutschland an andere EU-Länder angleichen sollte. Aber mit Immobilienpreissteigerungen von durchschnittlich 5,3% pro Jahr (Statistisches Bundesamt, März 2024) ist die Regierung skeptisch. Eine kürzere Frist könnte Spekulationen wieder anheizen - und die Preise weiter nach oben treiben.
Was bleibt? Sie müssen nicht warten, bis 2035. Aber Sie müssen genau rechnen. Nutzen Sie die Regeln, die Ihnen helfen - Eigennutzung, Anschaffungskosten, Dokumentation. Und holen Sie sich professionelle Hilfe, wenn Sie unsicher sind. Ein Steuerberater braucht 2-3 Stunden für eine Prüfung - und kostet im Durchschnitt 295 Euro. Das ist ein guter Preis für Sicherheit.
Beginnt die Spekulationsfrist mit dem Tod des Erblassers?
Nein. Die Spekulationsfrist beginnt mit dem Datum des notariell beurkundeten Kaufvertrags des Erblassers, nicht mit dem Sterbedatum oder dem Tag der Eigentumsumschreibung. Selbst wenn Sie die Immobilie erst vor einem Jahr geerbt haben, zählt die Zeit, die der Verstorbene sie besessen hat.
Kann ich die Spekulationssteuer vermeiden, wenn ich das Haus selbst bewohne?
Ja. Wenn Sie die Immobilie im Verkaufsjahr und in den beiden vorhergehenden Kalenderjahren als Hauptwohnsitz bewohnt haben, fallen keine Spekulationssteuern an - unabhängig davon, wie lange der Erblasser sie besessen hat. Auch die Nutzung durch den Erblasser zählt mit, wenn er dort gewohnt hat.
Was passiert, wenn ich nur einen Teil der Immobilie erbe?
Für den geerbten Teil bleibt die alte Frist bestehen. Für den Teil, den Sie hinzugekauft haben, beginnt eine neue zehnjährige Frist. Sie müssen die Gewinne getrennt berechnen. Das ist komplex - ein Steuerberater sollte das übernehmen.
Müssen Renovierungen die Spekulationsfrist verlängern?
Nein. Renovierungen verlängern die Frist nicht. Aber sie können als Anschaffungskosten des Erblassers angerechnet werden - das senkt den Gewinn und damit die Steuer. Wichtig: Sie brauchen Belege wie Rechnungen und Zahlungsquittungen.
Wie lange dauert es, bis ein Finanzamt die Spekulationsfrist prüft?
Die Prüfung erfolgt normalerweise im Rahmen der Einkommensteuererklärung. In Pilotprojekten wie München-Nord wird die Prüfung automatisiert - die Bearbeitungszeit sank um 63%. In der Regel dauert es 4-8 Wochen, bis das Finanzamt eine Antwort gibt. Wenn Sie alles richtig dokumentiert haben, kommt es selten zu Nachfragen.