Warum bestehende Gebäude oft nicht sicher sind
Viele Häuser in Österreich und der Schweiz wurden vor 1980 gebaut - lange bevor es verbindliche Erdbebenregeln gab. Selbst in Gebieten mit niedriger Erdbebengefahr wie Graz oder Wien sind diese Gebäude heute nicht mehr sicher genug. Sie haben keine ausreichenden Scherwände, keine verankerten Decken oder stabile Fundamente. Ein starkes Erdbeben könnte sie beschädigen - oder sogar einstürzen lassen. Das ist kein theoretisches Szenario. In der Schweiz haben 78 % der bestehenden Gebäude einen Erfüllungsfaktor (aeff) unter 0,6. Das bedeutet: Sie erfüllen heute nicht einmal die minimalen Sicherheitsanforderungen.
Was genau ist ein Erfüllungsfaktor (aeff)?
Der Erfüllungsfaktor ist die zentrale Zahl, die entscheidet, ob ein Gebäude erdbebensicher ist oder nicht. Er wird nach der Schweizer Norm SIA 269/8 berechnet. Der Wert liegt zwischen 0 und 1. Ein Wert von 1 bedeutet: Das Gebäude ist nach heutigen Standards sicher. Ein Wert von 0,4 bedeutet: Es ist stark gefährdet. In der Praxis wird ein aeff von mindestens 0,6 als minimal akzeptabel angesehen. Werden Gebäude saniert, wird der aeff nach der Sanierung neu berechnet. Nur wenn er über 0,6 liegt, gilt das Gebäude als erdbebensicher. Diese Zahl ist nicht abstrakt - sie entscheidet über Leben und Tod.
Welche Maßnahmen helfen wirklich?
Es gibt keine Einheitslösung. Jedes Gebäude braucht eine individuelle Strategie. Die häufigsten und wirksamsten Maßnahmen sind:
- Scherwände einbauen oder verstärken: Betonwände, die seitliche Kräfte aufnehmen, sind die einfachste und günstigste Lösung. Sie werden oft in Treppenhäusern oder an Außenwänden angebracht.
- Stahlrahmen einfügen: Diese Rahmen verbinden Decken mit Wänden und bilden eine stabile Hülle. Sie sind besonders effektiv bei Holz- und Stahlbetonbauten.
- Basisisolation: Das Gebäude wird auf elastische Lager aus Gummi und Stahl gesetzt. Diese wirken wie Stoßdämpfer und absorbieren bis zu 80 % der Erdbebenenergie. Diese Methode ist teuer, aber ideal für Krankenhäuser, Schulen oder historische Bauten.
- Dämpfungssysteme: Viscoelastische oder reibungsbasierte Dämpfer werden in Trägern oder Kernen eingebaut. Sie wandeln Bewegungsenergie in Wärme um - und schützen so die Tragstruktur.
- Fassadenversteifung: Sichtbare oder unsichtbare Verstrebungen stabilisieren die Außenwände. Besonders nützlich bei alten Stein- oder Ziegelbauten.
Die Wahl der Methode hängt vom Gebäudealter, der Bauweise und dem Budget ab. Bei einem Einfamilienhaus aus den 1960er Jahren reicht oft eine einfache Scherwand. Bei einem fünfgeschossigen Bürogebäude aus Beton sind mehrere Maßnahmen nötig.
Wie viel kostet eine Erdbebensicherung?
Viele denken: Das ist teuer. Aber die Zahlen sagen etwas anderes. Eine Untersuchung von fünf Bundesgebäuden in der Schweiz zeigte: Die Mehrkosten für Erdbebensicherung lagen bei maximal 0,3 % der gesamten Baukosten. Im Durchschnitt waren es weniger als 1 %. Für ein typisches Einfamilienhaus bedeutet das: 5.000 bis 10.000 Franken - etwa so viel wie ein neuer Kamin oder eine neue Heizung.
Die Analyse kostet mehr. Für ein mittelgroßes Gebäude liegen die Kosten zwischen 15.000 und 50.000 Franken. Das klingt viel, aber es ist eine einmalige Investition. Ein erfahrener Erdbebeningenieur findet oft Lösungen, die 20-30 % günstiger sind als die ersten Vorschläge. Wer eine unabhängige Prüfung macht, spart langfristig Geld.
Ein historisches Gebäude zu sanieren ist komplexer. Hier müssen Denkmalpfleger, Architekten und Ingenieure zusammenarbeiten. Die Kosten können höher sein - aber oft ist es möglich, die Maßnahmen so zu verstecken, dass das Äußere erhalten bleibt. In der Schweiz gibt es sogar Förderungen für solche Projekte.
Wann muss man handeln?
Nicht jedes Gebäude muss sofort saniert werden. Die Regel: Wenn der aeff unter 0,4 liegt, ist eine Sofortmaßnahme nötig. Wenn er zwischen 0,4 und 0,6 liegt, muss die Sanierung spätestens beim nächsten Umbau erfolgen. Viele Hausbesitzer warten, bis sie ohnehin renovieren - und nutzen die Gelegenheit, um die Erdbebensicherheit mitzudenken. Das ist klug. Denn wenn du eine neue Dachdeckung oder eine neue Fassade einbaust, ist der Aufwand für eine Scherwand oder eine Verstrebung dann viel geringer.
Wer sein Haus verkaufen will, sollte sich vorher prüfen lassen. Ein Gebäude mit niedrigem aeff ist schwer zu verkaufen. Käufer und Banken fragen immer öfter nach der Erdbebensicherheit. Es ist kein Luxus mehr - es ist ein Verkaufsargument.
Was passiert, wenn man nichts tut?
Die meisten Menschen denken: Ein großes Erdbeben kommt hier sowieso nicht. Aber das stimmt nicht. In der Schweiz wird ein Bemessungserdbeben als Ereignis definiert, das statistisch einmal in 500 Jahren auftritt. Das klingt selten. Aber in einem Land mit 8 Millionen Menschen und 2 Millionen Gebäuden bedeutet das: In 100 Jahren sind 20 % der Gebäude betroffen. In 200 Jahren sind es 40 %. Und wir leben jetzt in einem Zeitraum, in dem viele Gebäude älter als 70 Jahre sind.
Wenn ein Gebäude einstürzt, sind die Kosten nicht nur finanziell. Es gibt Verletzte. Es gibt Traumata. Es gibt Versicherungsausfälle. Und es gibt rechtliche Konsequenzen. Wer als Eigentümer wusste, dass sein Haus unsicher ist, und nichts unternommen hat, kann haftbar gemacht werden - auch wenn kein Erdbeben stattfand.
Die Zukunft: Digitalisierung und neue Materialien
Die Branche verändert sich. BIM (Building Information Modeling) wird immer wichtiger. Mit digitalen Modellen kann man simulieren, wie ein Gebäude bei einem Erdbeben reagiert - ohne eine einzige Wand zu berühren. Das spart Zeit und Geld.
Auch neue Materialien kommen. Carbonfaserverbundwerkstoffe sind leicht, stark und können an alten Wänden angeklebt werden, ohne das Aussehen zu verändern. Formgedächtnislegierungen können sich nach einer Belastung wieder zurückverformen - wie ein Metall, das sich selbst heilt. Diese Technologien sind noch teuer, aber sie werden in den nächsten fünf Jahren massentauglich. Experten prognostizieren, dass sie die Kosten um bis zu 15 % senken können.
Die Prognose ist klar: Bis 2040 werden 65 % der Gebäude in der Schweiz eine Erdbebensicherung brauchen. Das sind rund 12 Milliarden Franken Investition. Wer jetzt handelt, zahlt weniger. Wer wartet, zahlt später viel mehr - und riskiert mehr als nur Geld.
Was tun als Hausbesitzer?
- Prüfe, ob dein Gebäude vor 1980 gebaut wurde. Wenn ja, ist eine Prüfung sinnvoll.
- Finde einen zertifizierten Erdbebeningenieur - nicht jeden Bauleiter.
- Lass den aeff berechnen. Das kostet 15.000-50.000 Franken, aber es ist die Grundlage für alle Entscheidungen.
- Wenn der Wert unter 0,6 liegt: Plane die Sanierung in den nächsten Renovierungszyklus ein.
- Frage nach Förderungen - besonders bei historischen Gebäuden.
- Denk nicht nur an den Preis. Denk an die Sicherheit deiner Familie.
Ein Erdbeben kommt nicht immer. Aber wenn es kommt, willst du nicht fragen: Warum habe ich nichts getan?
Was ist der Erfüllungsfaktor (aeff) und warum ist er wichtig?
Der Erfüllungsfaktor (aeff) ist eine Zahl zwischen 0 und 1, die angibt, wie gut ein Gebäude den heutigen Erdbebensicherheitsnormen entspricht. Ein Wert von 1 bedeutet vollständige Übereinstimmung. Ein Wert unter 0,6 gilt als ungenügend. Er wird nach der Schweizer Norm SIA 269/8 berechnet und berücksichtigt Bauweise, Material, Alter und Standort. Nur wenn der aeff über 0,6 liegt, gilt das Gebäude als sicher genug, um im Ernstfall nicht einzustürzen. Ohne diesen Wert ist eine Sanierung nicht planbar.
Kann man Erdbebensicherheit nachträglich in alte Häuser einbauen?
Ja, das ist möglich - und wird täglich gemacht. Ob aus Holz, Ziegel oder Beton: Fast jedes Gebäude lässt sich erdbebensicher nachrüsten. Gängige Methoden sind das Einbringen von Scherwänden, Stahlrahmen oder Dämpfungssystemen. Auch die Basisisolation, bei der das Haus auf elastische Lager gesetzt wird, funktioniert bei bestehenden Gebäuden. Die Herausforderung liegt nicht in der Technik, sondern in der Planung und im Budget. Mit einem erfahrenen Ingenieur lässt sich meist eine kostengünstige Lösung finden.
Wie viel kostet eine Erdbebenprüfung für ein Einfamilienhaus?
Eine detaillierte Erdbebenanalyse für ein typisches Einfamilienhaus kostet zwischen 15.000 und 30.000 Franken. Das hängt von der Komplexität ab - ob es ein Keller hat, ob die Wände verputzt sind, ob es eine Dachkonstruktion aus Holz oder Beton hat. Die Kosten sind eine Investition: Ohne diese Prüfung weißt du nicht, ob du sanieren musst - und wenn ja, wie viel. Viele Ingenieure bieten eine erste Einschätzung für 3.000-5.000 Franken an, um zu entscheiden, ob eine vollständige Analyse sinnvoll ist.
Gibt es Förderungen für Erdbebensicherung?
In der Schweiz gibt es Förderungen für historische Gebäude und kommunale Immobilien. In Österreich ist das landesabhängig - in Kärnten und Vorarlberg gibt es teilweise Zuschüsse für Sanierungen, die auch die Erdbebensicherheit verbessern. Die meisten Förderungen sind an den Nachweis der Sanierung gebunden und verlangen eine Prüfung durch einen zertifizierten Ingenieur. Es lohnt sich, beim zuständigen Bauamt oder der Denkmalbehörde nachzufragen. Manchmal wird auch die Mehrwertsteuer reduziert, wenn die Sanierung als „sicherheitsrelevante Maßnahme“ gilt.
Ist eine Erdbebensicherung auch für Mieter relevant?
Ja, aber indirekt. Der Eigentümer ist verantwortlich für die Sicherheit des Gebäudes. Als Mieter hast du kein Recht, die Sanierung zu verlangen - aber du kannst vom Eigentümer verlangen, dass er die Gebäudeprüfung vorlegt. Wenn das Gebäude als unsicher eingestuft ist, kann es zu Mietminderungen kommen. Außerdem: Wer in einem unsicheren Haus lebt, riskiert seine Sicherheit. Es ist sinnvoll, den Vermieter darauf anzusprechen - besonders wenn das Haus vor 1980 gebaut wurde.